Bewegung und Sport
So wirksam wie Medikamente
Nach der Krebsoperation auf den Jakobsweg? Zur Vorbeugung eines Rückfalls in die Mucki-Bude? Noch vor wenigen Jahren hätten Onkologen bei solchen Empfehlungen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Krebspatienten bekamen damals auf die Frage: Herr Doktor, was kann ich selbst für mich tun? meist die Antwort: Schonen Sie sich, muten sie sich nicht zu viel zu – schon gar nicht körperliche Aktivität.
Bewegung – ein natürliches Medikament,
nebenwirkungsfrei und kostenlos
Mehrere große Studien aus dem angelsächsischen Raum haben inzwischen eindrucksvoll bewiesen, dass Krebspatienten, die nach der Erkrankung körperlich aktiv sind, von diesem Bewegungsprogramm nicht nur im Hinblick auf die Lebensqualität profitieren. Auch das Risiko eines Rückfalls sinkt bei regelmäßiger Bewegung. Wie Prof. Martin Halle vom Klinkum rechts der Isar (München) beim internationalen Symposion: „ Sport und Krebs“ in München berichtete, verbessert sich die Prognose bei Brustkrebspatientinnen um bis zu 40 Prozent, bei Patienten mit einem Kolonkarzinom in einer Spanne zwischen 14 und 47 Prozent. Und das dank eines „natürlichen Medikaments“, das gut verträglich, nebenwirkungsfrei und für alle Patientinnen und Patienten –unabhängig vom Erstattungs-verhalten ihrer Krankenkasse – frei zugänglich ist und dazu noch kostenfrei bzw. kostengünstig ist.
Krebssportgruppen
Fest in weiblicher Hand
An der Sporthochschule in Köln und am Deutschen Krebsforschungsinstitut (DKFZ) in Heidelberg laufen Studien, die die Effekte von Bewegung, Sport und Ernährung in der Krebstherapie untersuchen. Nach Erfahrung von Dr. Freerk Baumann von der Kölner Sporthochschule profitieren vor allem Frauen mit Brustkrebs von Sport- und Bewegungsprogrammen. Dies hat sich zwischenzeitlich auch bei den betroffenen Frauen selbst herumgesprochen. In den 800 Krebssportgruppen in Deutschland sind nach Auskunft von Baumann 90 Prozent der Teilnehmer Brustkrebspatientinnen. Und das kommt nicht von ungefähr. Denn die Patientinnen spüren schnell am eigenen Leib die wohltuende und heilende Wirkung eines therapeutischen Sportprogramms. Dies verbessert nicht nur die allgemeine körperliche Fitness – die Frauen fühlen sich körperlich leistungsfähiger -, sondern bekämpft auch das Fatigue-Syndrom und verringert die Gefahr eines Lymphödems.
Heraus aus dem Bermuda-Dreieck!
Dem Körper die hormonellen Wachstumsbeschleuniger entziehen
Auch Prof. Martin Halle vom sportmedizinischen Institut des Münchener Klinikums rechts der Isar und Prof. Michael Schoenberg, Chef der Chirurgie am Rotkreuzklinikum München bestätigen diesen Effekt. Ihr Ziel ist es, Krebs-Patienten „aus dem „Bermudadreieck“ von Fernseher, Couch und Depression herauszulocken und ihnen durch Bewegungsprogramme die Möglichkeit zu geben, aktiv gegen ihre schwere Erkrankung anzukämpfen“. Auf die Frage von Patienten: Was kann ich selbst für mich tun? heißt eine wichtige Antwort aus Sicht viele Krebsexperten deshalb: Ernähren Sie sich gesund, achten Sie auf Ihr Gewicht und bewegen Sie sich regelmäßig.
Warum ist das wichtig? Bewegung und Gewicht haben Einfluss auf die hormonelle Balance des Organismus. Übergewicht geht mit erhöhten Hormonspiegeln im Blut einher. Hormone senden Signale an die Krebszellen aus, die bei vielen Tumorarten wie Wachstumsbe-schleuniger wirken. Dadurch steigt das Risiko für einen Rückfall. Durch regelmäßige Be-wegung und Sport lassen sich die Hormonspiegel auf Normalniveau senken. So verlangsamt sich die Krebsentwicklung, denn den Krebszellen werden – ähnlich wie bei einer antihor-monellen Therapie - die hormonellen Wachstumsbeschleuniger entzogen.
Ausdauersport und Krafttraining
Ene wirksame Kombination
Bewegung
ist dabei nicht unbedingt mit Sport, schon gar nicht mit Leistungssport
gleichzusetzen. Oft reicht es schon aus, sich im Alltag einfach mehr zu
bewegen, die Treppe zu benutzen statt mit dem Aufzug ins dritte Obergeschoss zu
fahren, zu Fuß zum Briefkasten zu gehen statt das Auto zu nutzen oder mit dem
Fahrrad zum Einkaufen zu fahren. Auch wer regelmäßig das Tanzbein
schwingt, betreibt wirkungsvolle Krebsprophylaxe. Tai Chi, Yoga,
Qui-Gong, Aerobic und Aqua Fitness haben ebenfalls einen positiven Effekt. Wenn
es um „richtigen“ Sport geht, haben sich aus sportmedizinischer Sicht vor allem
Ausdauer-sportarten wie Schwimmen, Walken und Radfahren als ideale Begleiter in
der Krebsbe-handlung bewährt. Dr. Freerk Baumann von der Sporthochschule
Köln empfiehlt Krebs-patienten auch Nordic Walking oder Ski-Langlauf und ebenso
wie Dr. Holger Krakowski-Rosen vom DKFZ in Heidelberg sogar ein gezieltes
Krafttraining. Denn Ausdauersport und Muskelaufbautraining ergänzen sich
in ihrer therapeutischen Wirkung in idealer Weise. „Während das
Ausdauertraining den Stoffwechsel, die Gefäßneubildung und den
Sauerstofftransport im Muskel verbessert, regt das Krafttraining gezielt den
Aufbau von Muskelmasse an und wirkt damit dem fatalen Muskel- und Kräfteabbau
entgegen“ so der Heidelberger Sportwissenschaftler.
Keine Karenzzeit für das Sportprogramm
Je früher desto besser!
Wann sollten Krebspatienten mit dem Bewegungsprogramm beginnen? Idealerweise schon 24 Stunden nach der Operation – und zwar unter Anleitung eines geschulten Therapeuten – so die Empfehlung von Freerk Baumann. Diese Form der Frührehabilitation (z.B. Aktivierung der sogenannten Muskelpumpe) kann schon im Akutkrankenhaus Verkürzungen des Muskelgewebes entgegenwirken. Zudem konnten die Kölner Sportwissenschaftler z.B. bei Brustkrebspatientinnen zeigen, dass in der Phase der Chemotherapie, die für den Körper extrem belastend ist, ein regelmäßiges Ganzkörpertraining an ausgewählten Trainingsgeräten, in dessen Verlauf vor allem die Arm-, Rücken und Beinmuskeln mit Kraft- und Dehnübungen trainiert wurden, einen ausgesprochen positiven Effekt hat. Die Frauen mach-ten beim anstrengenden Training nicht nur mit Begeisterung mit, sondern profitierten auch körperlich: Sie konnten trotz kräftezehrender Chemotherapie das Kraftniveau im Arm an der operierten Seite halten. Darüber hinaus scheint das Krafttraining auch ein wirkungsvolles Mittel gegen Fatigue zu sein.
Die meisten onkologischen Zentren bieten ihren Patientinnen deshalb direkt nach Diagnosestellung individuelle Sportprogramme an. In Mönchengladbach stehen Brustkrebspatientinnen von Beginn der Behandlung an ein Fitness-Raum und eine Nordic-Walking-Trainerin zur Verfügung. Die Frauen trainieren in einem „geschützten Raum“ unter sich, so dass Frust und Demotivation durch den Vergleich mit Gesunden von vornherein vorgebeugt ist. Ebenso wie in Essen, wo Prof. Gustav Dobos und Privatdozent Dr. Sherko Kümmel mit dem Projekt „Seno-Expert“ neue Wege in der integrativen Therapie bei Brustkrebs gehen, wird den Patientinnen auch in Mönchengladbach ergänzend eine Ernährungsberatung angeboten. Brustgesunde Ernährung und ein individuelles Sportprogramm sind hier wesentliche Bestandteile der adjuvanten Therapie.
Welche Sportart passt zu mir?
Aber: Nicht jede Sportart ist für jeden Krebspatienten geeignet. Vorsicht ist bei Golf und Inline-Skaten geboten. Skater haben ein erhöhtes Sturzrisiko, Golf kann das Entstehen von Lymphödem begünstigen. Auch Kampfsportarten und Trainingsarten mit intensivem Körper-kontakt (Judo, Boxen, Ringen) sind wie Wettkampfsport oder Sportarten mit ruckartigen oder reißenden Bewegungen. Hier besteht – so Baumann - immer die Gefahr von Überlastung des operierten Gewebes und von Stürzen.