Ein Baby nach der Chemo

 

Brustkrebs ist die häufigste Krebsart von Frauen unter 35. Zehn Prozent aller Brustkrebserkrankungen treten bei Frauen im gebärfähigen Alter auf.  Und für diese jungen Frauen ist die Diagnose „Brustkrebs“ ein doppelter Schock. Denn sie belastet nicht nur die Sorge um die eigene Gesundheit:  Verliere ich meine Brust? Werde ich geheilt? Komme ich gut durch die Therapie? Wie ist meine Prognose? Gleichzeitig steht immer auch die Frage im Raum:  Kann ich überhaupt nach einer Chemotherapie noch Kinder bekommen? 

Noch vor einigen Jahren rieten Onkologen meist von einer Schwangerschaft ab. Eine Brustkrebspatientin sollte sich erst zehn Jahre nach abgeschlossener Behandlung ihren Kinderwunsch erfüllen, so die Empfehlung.  Denn das Rückfallrisiko sei andernfalls viel zu hoch. Bei Frauen, die ein Kind erwarten, steigt nämlich der Östrogenspiegel während  der neun Monate vor der Geburt stark an. Für Tumore, deren Empfangsantennen für das  weibliche Geschlechtshormon Östrogen empfänglich sind, ist das ein idealer Wachstumsbeschleuniger für den Brustkrebs. Viele Krebsmediziner rieten jungen Brustkrebspatientinnen deshalb sogar, ganz auf eine Schwangerschaft zu verzichten.

Inzwischen hat sich die Sichtweise hier entscheidend geändert. So erklärt der Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vom Münchner Klinikum Großhadern, Prof. Dr. Klaus Friese, im Juli 2012 gegenüber der  Zeitschrift „Eltern“:  "Wir wissen heute, dass Frauen, die nach therapiertem Brustkrebs schwanger werden, keine schlechtere Überlebensrate haben als Frauen, die danach nicht schwanger wurden. Das Risiko, wieder Krebs zu bekommen, ist durch eine Schwangerschaft nicht erhöht".

Was hat sich in den letzten Jahren getan und wie kommt Prof. Friese, der zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist, zu dieser Einschätzung?   Ob eine Frau mit Brustkrebs nach der Therapie ein Kind bekommen kann, hängt vor allem von der Art der Behandlung und den eingesetzten Medikamenten ab. Operation und Strahlentherapie haben dabei keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit der Frau. Wohl aber die medikamentöse Behandlung. Hier ist die Therapiestrategie abhängig von den biologischen Eigenschaften des Brustkrebses.  Bei Tumoren, die Hormonrezeptor- negativ sind, ist die Chemotherapie neben Operation und Bestrahlung die Methode der Wahl.  Hormonrezeptor- positive, also hormonabhängige Tumore sprechen gut auf eine antihormonelle Behandlung an, die die Wachstumsantennen des Krebses auf „stumm“  schalten soll.

Antiöstrogene  bremsen auch die Fruchtbarkeit

Bei Brustkrebs, der empfänglich für die weiblichen Geschlechtshormone Östrogen und Gestagen ist, ist die antihormelle Behandlung heute die Standardtherapie. Die meisten Frauen vor den Wechseljahren nehmen nach der Entfernung des Tumors  über fünf Jahre und länger sogenannte Antiöstrogene ein. Diese Mittel sorgen dafür, das die Östrogenproduktion in den Eierstöcken gedrosselt wird. Die Folge: Der Monatszyklus bleibt aus und die Frau durchlebt „vorgezogene Wechseljahre  – (mit all den damit verbundenen Nebenwirkungen und Beschwerden wie Hitzewallungen, Schlaflosigkeit, Lustlosigkeit und Depression. Gleichzeitig verhindern die Präparate meist eine Schwangerschaft, wenngleich die Hersteller auf dem Beipackzettel parallel zur Therapie zu empfängnisverhütenden Maßnahmen raten.

Eine Schwangerschaft ist während der Dauer der Antihormonbehandlung meist  nicht möglich. Allerdings: Im Allgemeinen können Frauen unter 30 nach Absetzen der Präparate – ähnlich wie bei der Anti-Baby-Pille- wieder schwanger werden.   Bei diesen jungen Frauen pendelt sich der Hormonspiegel in der Regel ein Jahr nach Ende der Antihormonbehandlung wieder von selbst ein. Bei Frauen, die älter als 30 sind und über mehrere Jahre Tamoxifen eingenommen haben, kanndie Fruchtbarkeit allerdings dauerhaft beeinträchtigt sein.  Denn die Eierstöcke kehren manchmal nicht zu ihrer gewohnten Funktionsfähigkeit zurück. Wohlgemerkt: Dies muss aber nicht so sein.  Diese Frauen kommen meist auch eher in die „richtigen“ Wechseljahre .

Die neuen Chemotherapien sind „sanfter“

Vor zwanzig und dreißig Jahren wurde bei der Chemotherapie vor allem die CMF-Behandlung (eine Kombination aus Cyclophosphamid, Methotrexat, 5-Fluorouracil) als Standard eingesetzt. Diese Therapie schädigte  die Eierstöcke so stark, dass eine spätere Schwangerschaft unmöglich war. Inzwischen haben Studien belegt, dass die Chemotherapie mit Anthrazyklinen und Taxanen  wirksamer als die  CMF-Behandlung ist, und für die Eierstöcke  deutlich schonender.  Die modernen Medikamente ermöglichen es sogar, während der Schwangerschaft eine Chemotherapie zu beginnen, ohne dass ein Risiko für das Kind besteht. 

Wichtig  für den Schutz der Fruchtbarkeit – die richtige Beratung

Allerdings gibt es immer noch Tumorarten, wo eine sehr aggressive Chemotherapie gewählt werden muss. Hier sollte die betroffene Frau vor Beginn der Behandlung wissen, dass ein Risiko besteht, unfruchtbar zu werden. Und natürlich sollte der Arzt sie auch darüber informieren, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, um die Fruchtbarkeit zu schützen. Angesichts der Schock-Diagnose „Brustkrebs“ vergessen viele Patientinnen, sich genau danach zu erkundigen. Sie sind mit ihrem „Überleben“ beschäftigt und die Problematik einer späteren Familienplanung spielt zu diesem Zeitpunkt meist gar keine Rolle.  Manchmal wird so die Gelegenheit verpasst, nach Abschluss der Krebsbehandlung doch noch schwanger werden zu können. 

Deshalb haben sich im Jahr 2006 im Projekt „Fertiprotekt“ führende Wissenschaftler aus  Deutschland, Österreich  und der Schweiz unter Leitung von Prof. Dr. med. Michael von Wolff, Bern, und  Prof. Dr. rer. nat. Markus Montag, Heidelberg,  zusammengeschlossen, um Krebspatienten zum Schutz der Fruchtbarkeit bei Strahlen-, Chemo-und Antihormontherapie zu beraten. Ihr Ziel:  Sie wollen Brustkrebspatientinnen dazu  ermutigen, trotz ihrer Krebserkrankung an die Zukunft zu denken und sie über die  Möglichkeiten des Schutzes ihrer Fruchtbarkeit vor und nach einer Chemotherapie aufklären. . „Nach überstandener Erkrankung sind die Patientinnen dann natürlich sehr froh, auch das Zukunftsszenario ‚Familie‘ noch realisieren zu können“, berichtet Prof. Friese, der das Projekt wie seine Kollegen aus Hamburg, Tübingen und Erlangen unterstützt.

Unterschiedliche Möglichkeiten - ein Ziel: Fruchtbarkeit erhalten

Die Reproduktionsmedizin ist eine der Möglichkeiten, um die Fruchtbarkeit für die Zeit nach der Chemo zu erhalten. Frauen, die in einer Partnerschaft leben, können sich befruchtete Eizellen entnehmen und  einfrieren lassen.  Diese Zellen überstehen  das Einfrieren und spätere Auftauen weitaus besser, als nicht befruchtete Eizellen.  Die Chance, mit diesen Eizellen später schwanger zu werden, liegt bei etwa 50 Prozent.

Für Frauen, die keinen festen Partner haben, besteht die Möglichkeit, sich vor der Chemotherapie unbefruchtete Eizellen entnehmen und diese einfrieren zu lassen.Diese Zellen lassen sich  dann später für eine künstliche Befruchtung (in-vitro-fertilisation) nutzen und wieder in die Gebärmutter einsetzen – auch wenn die Erfolgsaussichten nicht ganz so groß sind.

Allerdings haben beide Methoden einen Nachteil. Es ist eine hormonelle Vorbehandlung notwendig, die mindestens 14 Tage dauert.  Hier ist dann abzuwägen, ob die Chemotherapie so lange aufgeschoben werden kann.

An der Universitätsklinik in Erlangen wird derzeit ein anderes Verfahren erprobt. Hier werden nicht nur Eizellen entnommen und eingefroren, sondern Eierstockgewebe. So verbleiben die Eizellen im natürlichen Gewebeverbund. Nach der Krebsbehandlung wird das Gewebe dann zurückverpflanzt, damit es wieder weibliche Geschlechtshormone und Eizellen produzieren kann. Zweimal ist diese Re-Transplantation in Erlangen bereits geglückt und die Frauen wurden schwanger. Prof. Klaus Dittrich von der Uniklinik in Lübeck warnt allerdings im Tagesspiegel vom 13. September 2012 vor übertriebenen Hoffnungen. Nach seiner Einschätzung stehen die Chancen, dass sich das Eierstockgewebe nach der Chemo regeneriert bei 50 zu 50. Nachgewiesen sei der Wirkungszusammenhang aber noch nicht, obwohl sich die Mediziner in Erlangen seit 10 Jahren mit dieser Fragestellung wissenschaftlich beschäftigen.

Ähnliches gilt auch für die Spritzentherapie mit GnRH-Analoga (Gonadotropin-Releasing-Hormon). Allerdings  fehlt hier der eindeutige wissenschaftliche Beweis dafür, dass diese Injektionen, die durch die Blockade von Botenstoffen im Gehirn die Östrogen-Produktion in den Eierstöcken unterdrücken und dadurch den Organismus künstlich in die Vorpubertät bzw. in die Wechseljahre schicken, die Eierstöcke vor den schädlichen Wirkungen einer Chemotherapie schützen. Einige Studien belegen den Effekt, andere wie die ZORO-Studie  kommen zu gegenteiligen Ergebnissen.

Dennoch: Die Beispiele vieler – nicht nur prominter Frauen wie Miriam Pielhau oder Kathrin Spielvogel , die nach der Krebstherapie schwanger wurden, machen Mut - auch wenn die Schwangerschaft nach einer Chemotherapie häufig von Angst und Zweifeln im Hinblick auf die eigene Gesundheit und die des Kindes begleitet sein wird. Die heute zur Verfügung stehenden Daten belegen aber:  Eine Schwangerschaft begünstigt das Risiko für einen Rückfall nicht!  Und drei bis 15 Prozent aller Brustkrebspatientinnen im gebärfähigen Alter bekommen ein gesundes und vitales Kind! Aber was bedeuten schon Daten und Studienwahrscheinlichkeiten im Hinblick auf die persönliche Entscheidung?  Hier sind Mut, der Glaube an die eigene Kraft und die Unterstützung durch einen liebevollen Partner gefragt. (akk)

 Literatur: M.S. Kupka, M.Franz, I.Mylonas: Fertilitätsprotektion des Ovars durch GnRH-Analoga oder orale Kontrazeptiva, Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 2010,7 (3)

Beckmann, Binder, Dittrich et. al.: Konzeptpapier zur Ovarprotektion an deutschen Reproduktionsmedizinischen Universitätszentren, Juli 2006

Die Internetseite www.fertiprotekt.de bietet ausführliche Informationen zum Fruchtbarkeitsschutz für Frauen und Männer, die sich einer Chemo- oder Strahlentherapie unterziehen müssen.