Off-Lable-Use - Wenn nichts anderes mehr hilft, müssen die Krankenkassen zahlen

16. Juni 2013

Ein folgenreiches und für Krebspatienten bedeutsames Urteil - auch über den konkreten Einzelfall hinaus - hat das Bayerische Landessozialgericht Anfang April 2013 gefällt:

Es verpflichtete eine Krankenkasse dazu, für die Kosten eines Arzneimittels aufzukommen, dass für die Behandlung eines Patienten mit einem bösartigen Hirntumor eigentlich gar nicht zugelassen war.  Die Münchener Richter argumentierten:  Bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung steht nämlich das Recht auf Leben über den Kosten- und Wirtschaftlichkeitsinteressen der Krankenkassen.

 Im konkreten Einzelfall musste die Krankenkasse einem Krebspatienten das Medikament Avastin (Bevazizumab) bezahlen, nachdem Chemo- und Strahlentherapie das Wachstum seines inoperablen Hirntumors nicht hatten bremsen können. Die behandelnden Ärzte hatten den Versuch einer Antikörpertherapie mit Bevazizumab als letzte Möglichkeit angesehen, dass Tumorwachstum und damit den tödlichen Verlauf der Erkrankung noch zu stoppen.

Das Problem:  Der Antikörper ist derzeit für die Behandlung von Krebspatienten nicht zugelassen. Das heißt: Das Medikament kann nur im Out-off-Lable-Use eingesetzt werden. In solchen Fällen müssen die gesetzlichen Krankenkassen jedoch nicht für die Behandlungskosten aufkommen. Folgerichtig hatte die zuständige Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert.

Dieser Vorgehensweise widersprach das Bayerische Landessozialgericht nun im Eilbeschluss vom 8. April 2013 und verpflichtete die Krankenkasse zur Kostenerstattung. Auch deren Einlassung, man müsse zunächst ein Gutachten zur Wirksamkeit einholen, ließen die Richter mit Hinweis auf die besondere Dringlichkeit der Angelegenheit nicht gelten.  Sie schlossen sich der Argumentation der Ärzte an, die eine Behandlung mit dem Antikörper auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen für aussichtsreich hielten. "Das Rechtsgut des Patienten auf Leben“ überwiegt nach Auffassung des LSG und deshalb müsse das finanzielle Risiko einer nicht vollständig sicheren Therapie" dahinter zurückstehen.

In  der Urteilsbegründung schlossen sich die Richter damit dem sogenannten Nikolaus-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 zur Kostenübernahme bei alternativen Heilverfahren an.  Dieses hatte seinerzeit festgestellt, dass die gesetzlichen Krankenkassen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen dann die Kosten für Alternativtherapien übernehmen müssen, wenn die Schulmedizin keine Behandlungsoptionen mehr anbieten kann und wenn die alternative Methode "eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht". (akk)

 Quelle: Urteil des Bayerischen LSG, Az.: L 5 KR 102/13 B ER