Eine verpasste Chance für die Früherkennung - Die Förderabsage für die Abbremas-Studie

Mit wie viel Hoffnung und Euphorie hatte alles angefangen: Im Jahr 2019 erhielt ein interdisziplinäres Forscherteam um Prof. Christiane Kuhl von der RWTH Aachen die Förderzusage für die Projektierung einer Studie zur verbesserten Früherkennung von Brustkrebs bei Frauen mit drüsendichtem Gewebe mit MRT. Endlich sollte in Deutschland im Rahmen einer groß angelegten Studie innerhalb der bestehenden Versorgungs-strukturen des Deutschen Mammographie-Screening-Programms die Früherkennung untersucht werden, wie sich die Früherkennung  von Brustkrebs in Deutschland weiter verbessern lässt.

Jetzt - nach zwei Jahren intensiver Projektarbeit, an der neben zahlreichen Wissenschaftlern auch Vertreter von drei Patientinneninitiativen (Allianz gegen Brustkrebs,mamazone, Frauenselbsthilfe Krebs) sowie der Zeitschrift MammaMIa maßgeblich beteiligt waren, kam vom Bundesministerium (BMBF) der abschlägige Bescheid und damit das vorläufige Aus für die Studie. Die Geschichte dieser verpassten Chance für die Verbesserung der Brustkrebsfrüherkennung in Deutschland und die Chronologie einer Verhinderungsstrategie zeichnet der nachfolgende Beitrag von Eva Schumacher-Wulf und Annette Kruse-Keirath nach. 

Der Start - Aufwind für neues Wissen für die Früherkennung

Früherkennung ist die beste Möglichkeit, schweren Brustkrebserkrankungen vorzubeugen. Eine im Rahmen der „Nationalen Dekade gegen Krebs“ initiierte Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zeigt, dass dieses Thema auch politische Relevanz hat: Projektgruppen waren aufgerufen, sich mit ihren Ideen zu „Praxisverändernden Studien zur Prävention, Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen“ zu bewerben, um eine finanzielle Förderung des Projekts zu erhalten.

Diesem Aufruf folgte ein Team um Univ.-Prof. Dr. Christiane Kuhl, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der RWTH Aachen, und bewarb sich um Förderung der „Abbremas“ Studie. Die Freude war groß, als die Nachricht kam, dass die Vorbereitungs-Phase der Studie ein positives Votum der Gutachter erhielt. Diese waren von dem Konzept der Studie überzeugt. Am Ende der Vorbereitungs-Phase stand gemäß üblicher Praxis bei der Vergabe von Forschungsgeldern die Einreichung eines Vollantrags.

Die ABBREMAS-Studie („Abbreviated Breast MRI for Risk-Adjusted Screening“) hat das Ziel, die Brustkrebs-Früherkennung von Frauen mit sehr dichtem Drüsengewebe nachhaltig zu verbessern. Bei diesen Frauen ist die mammographische Früherkennung bekanntlich stark beeinträchtigt; Frauen mit dichtem Drüsengewebe tragen daher erwiesenermaßen ein deutlich erhöhtes Risiko, Intervallkarzinome zu entwickeln – das bedeutet: Karzinome, die trotz Teilnahme an der Früherkennung eben nicht durch die Screening-Untersuchung gefunden werden, sondern sich klinisch als in aller Regel bereits fortgeschrittene, große Tumore manifestieren.

Zahlreichen Studien, die in den vergangenen 20 Jahren die Leistungsfähigkeit der MRT mit der der Mammo-graphie oder Tomosynthese durch parallelen Einsatz beider Methoden verglichen haben, haben ohne Ausnahme gezeigt, dass die MRT das weit leistungsfähigere Untersuchungsverfahren darstellt und im Vergleich zur Mammographie die Brustkrebs-Erkennung um etwa das dreifache, im Vergleich zur Tomosynthese um das 2.5-fache steigert. Durch die Entwicklung des Konzepts einer fokussierten, also einer verkürzten MRT wird nun erstmals vorstellbar, die MRT einer breiteren Bevölkerungsschicht zur Früherkennung zur Verfügung stellen zu können. Die Gleichwertigkeit von konventioneller MRT und fokussierter MRT zur Brustkrebs-Früherkennung ist durch diverse Studien belegt. Diese Studien zeigen auch übereinstimmend, dass bei Frauen, die eine MRT zur Früherkennung durchlaufen haben, eine zusätzliche Mammographie oder Tomosynthese diese Früherkennung nicht weiter verbessert. Es ist nun also wichtig, den wissenschaftlichen Nachweis zu bringen, dass der Einsatz der fokussierten MRT im Rahmen des Früherkennungsscreenings einen Vorteil insbesondere für Frauen mit dichtem Brustgewebe darstellt. Die Idee, diese Evidenz in einer versorgungsnahen Studie zu erbringen, überzeugte auch die Gutachter.

Ein Konsortium aus führenden Patientenvertreterinnen war von Anfang an, also schon zum Zeitpunkt der Vorbereitung der Antragstellung, im Abbremas-Projekt intensiv involviert und ist heute Teil des Steering Committee der Studie.

Der Gegenwind

Die frohe Botschaft des positiven Votums stieß nicht überall auf Begeisterung. Großer Widerstand kam von den Leiterinnen und Leitern der Referenzzentren und dem „Wissenschaftlichen Beirat“ des deutschen Mammogra-phie Screening Programms.

Die Abbremas-Studie sah vor, dass Frauen mit dichtem Brustgewebe im Screening-Programm entweder eine fokussierte MRT oder die „übliche Früherkennung“, also eine Mammographie, erhalten würden, um vergleichen zu können, welche Methode Frauen vor einer späten Brustkrebs-Diagnose besser schützt. Das sollte anhand der Anzahl auftretender „Intervallkarzinome“ evaluiert werden. Ein wesentlicher Kritikpunkt der Referenzzen-trumsleiter an diesem Studien-Design war zunächst, dass Frauen, die im Rahmen der Studie eine MRT durchlaufen würden, keine Mammographie mehr erhalten würden, auf die sie – so die Argumentation – doch gesetzlich Anspruch hätten.

Die in Abbremas involvierten Patientenvertreter nahmen zu diesem Punkt wie folgt Stellung: „Dieser Kritikpunkt mag zunächst sachlich richtig sein, greift aber in der Argumentation insoweit zu kurz, als das Patientenrechte-gesetz seit 2013 alle Ärzte dazu verpflichtet, vollumfänglich über Chancen, Risiken und Limitationen von Unter-suchungs- und Behandlungsverfahren zu informieren. Somit müssten Frauen, die am Mammographie-Screening teilnehmen, unseres Erachtens ohnehin wie in den USA a) über die diagnostischen Limitationen der Mammo-graphie sowie mögliche ergänzende Untersuchungen und b) über die Dichte ihres Brustdrüsengewebes infor-miert werden. Dies ist jedoch derzeit nicht der Fall. Wir sind sicher, dass Frauen mit drüsendichtem Brustgewebe, die an der Studie teilnehmen, nach vollumfänglicher Aufklärung – wie sie in der Studie auch auf Grund der Vorgaben der Ethik-Kommission vorgesehen ist – dazu bereit sind, auf das Recht einer Mammographie zugunsten der MRT zu verzichten. Gleiches gilt auch im Hinblick auf das Nebenwirkungsprofil, das in der Kritik der Referenzzentrumleiter/-innen unverhältnismäßig dargestellt wird. Mündige Frauen und Patientinnen können und sollten gerade in der Früherkennung nach entsprechender Risikoaufklärung selbstbestimmt eine „informierte Entscheidung“ treffen und bedürfen nach unserer Erfahrung nicht des Schutzes Dritter. Dies gilt nicht nur für die Abbremas-Studie, sondern für alle (Früherkennungs-) Unter-suchungen.

Dazu kam der Kritikpunkt, eine genauere Bildgebung generiere auch mehr falsch-positive Befunde, die in einem zweiten Schritt abgeklärt werden müssten. Dazu die Patientenvertreter: „Aus vielen Gesprächen mit Frauen und Patientinnen können wir versichern, dass für uns Frauen nicht der falsch-positive, sondern der falsch-negative Befund das größte Problem darstellt. Wir wünschen uns eine im Ergebnis verlässliche und sichere Diagnose“.

Letztlich konnten alle Kritikpunkte sowohl von den Wissenschaftlern des Abbremas-Konsortiums als auch von den involvierten Patientenvertretern vollständig entkräftet werden. Trotzdem versagten die Referenzzentrums-leiter/-innen der Abbremas Studie endgültig jegliche Unterstützung. Der „Wissenschaftliche Beirat“ der Koope-rationsgemeinschaft Mammographie sagte eine Unterstützung der Stude erst zu, als eine weitreichende Änderung im Studienprotokoll aufgenommen wurde: Nun sollten alle Frauen eine Mammographie erhalten –  also auch die Frauen, die im Rahmen der Studie eine MRT erhalten würden, sollten zusätzlich auch noch eine Mammographie durchlaufen.

Genau dieser Punkt führte jedoch am Ende zu einer Absage der Förderung durch das international besetzte wissenschaftliche Gutachtergremium. Während die Gutachter vom ersten Studienkonzept höchst überzeugt gewesen waren, lehnten sie das gemäß der Forderungen des „Wissenschaftlichen Beirates“ abgeänderte Studienkonzept als nicht förderungswürdig ab.  Die Gutachter merkten an: Es stellt sich im neuen Studienkonzept die Frage, ob es akzeptabel und ethisch vertretbar ist, dass gesunde Frauen zwei „invasive“ Untersuchungen erhalten würden. Mehr noch: Die Gutachter stellten sogar die Frage, ob diese Änderung des Studienkonzepts überhaupt mit Patientenvertretern besprochen wurde und merkten an, dass sie sich nicht vorstellen könnten, dass die Patientenvertreter mit dieser Änderung einverstanden gewesen sein könnten. Dass die Einwände der Patientenvertreter von den Protagonisten des Mammographie Screening Programms konsequent ignoriert wurden, während die Patientenvertreter im Steering Committee der Abbremas Studie voll integriert sind, war den Gutachtern hingegen offenbar nicht bekannt gemacht worden.

Die Absage

Es herrschte großes Entsetzen, Wut und Fassungslosigkeit im Abbremas-Team, als die Absage kam, war die Förderung der Studie doch schon zum Greifen nahe.Zu Beginn, als sich Widerstand seitens der Referenzzentrumsleiterinnen und -leiter und des „Wissenschaftlichen Beirates“ abzeichnete, baten die Patientenvertreter wie auch die Studienleitung der Abbremas-Studie mehrfach und wiederholt um persönliche Gespräche und einen konstruktiven Dialog, um mögliche Kritikpunkte gemeinsam aus dem Weg zu räumen und damit im Interesse aller Frauen einen Schritt zur Weiterentwicklung der Früherkennung und zur Verbesserung der Versorgung zu gehen. Zu einem solchen Austausch waren die Referenzzentrumsleiter jedoch leider nicht bereit.

Während Patientenbeteiligung im BMBF sehr hoch geschrieben und bei Anträgen von Fördergeldern mittlerweile obligat ist, wurden die Bedenken der Patientenvertreter im wahren Leben von den Verantwortlichen des deutschen Mammographie-Screening Programms ignoriert. Dies führte zu dem bitteren Gefühl, dass hier wohl Partikularinteressen vor Patientenwohl und Wissenschaft standen. Zumindest fühlen sich so alle Patientenvertreter, nachdem sie viele Monate intensiver Arbeit in die Entwicklung dieser so wichtigen Studie gesteckt haben. Fragen, wie es so weit kommen konnte, werden bis heute ausweichend beantwortet. Niemand will die Verantwortung für das Scheitern der Förderung dieser so wichtigen Studie übernehmen.

(Eva Schumacher-Wulf, Annette Kruse-Keirath)