Neulich im Fernsehen - Die Story im Ersten – der gekaufte Patient

13.  Mai 2016

Vielleicht haben Sie ja auch am 9. Mai 2016 am späten Abend den Fernseher angeschaltet, um in der ARD die Story zum gekauften Patienten zu sehen. Ich habe mir den Bericht gleich zweimal angesehen – life und noch einmal in der Mediathek. Schon der Titel war tendenziös, konnte dabei aber nicht halten, was er versprach. Ich habe mich zunächst gefragt: Was ist das die Erkenntnis leitende Interesse?

Hier war die Antwort schnell gefunden: Das Bedienen der üblichen Klischees:  Naive, leicht verführbare Patienten geraten in die Fänge einer skrupellosen Industrie, die die armen Kranken instrumentalisiert und bedingungslos vor ihren PR-Karren spannt, um a) willfährige „Opfer“ und Versuchskaninchen für neue Studien zu rekrutieren und b) eine Lobby für den Vertrieb der eigenen Produkte aufzubauen. Wer nämlich könnte besser – so suggeriert es der Film – den Verkauf teurer Pillen ankurbeln, als die Patienten, die davon profitieren? Gern hätte  ich den Redakteur, der sich zugegebenermaßen in den Kommentaren doch etwas zurückhielt, gefragt, ob er wirklich glaubt, dass Patienten, insbesondere die, die sich in Patienteninitiativen organisieren, so blind und dumm sind, dass sie sich für jeden Karren spannen lassen. Anscheinend hat die Journaille noch nicht viel vom mündigen Patienten gehört, der sich informiert und noch lange nicht jede Story glaubt, die ihm aufgetischt wird. In den Köpfen der Redakteure herrscht wohl noch immer das paternalistische Denken, das davon ausgeht, dass gerade Kranke leicht verführbare Gläubige sind, die vor den Machenschaften von Medizin und Industrie geschützt werden müssen. Verbunden ist das alles mit Scheuklappen und dicken Balken vor den Augen, damit man nicht sieht, was man nicht sehen will.

Tatsache ist: Nicht nur die Pharmaindustrie sponsert die Selbsthilfe – die Krankenkassen sind sogar per Gesetz dazu verpflichtet, dies zu tun. Sie verbinden es aber mit Auflagen und Forderungen – ich kann mich noch gut erinnern, dass sowohl die Barmer wie auch der AoK für eine vergleichsweise kleine finanzielle Unterstützung während meiner Vorstandszeit bei einer großen Patientinneninitiative für Brustkrebspatientinnen redaktionelle Zugeständnisse verlangten, was bei Industriesponsoren nie erwartet, geschweige denn verlangt wurde. Aber so ist das eben: Das Geld der Krankenkassen und der Krebshilfe, die u.a. auch die Frauenselbsthilfe nach Krebs sponsert und subventioniert, ist eben „gutes“, „ehrliches" und „sauberes“ Geld, während das  der Industrie schmutzig und böse ist.

Dabei ist das, was die Krankenkassen gerade im Bereich der Onkologie für Patienten zu bieten haben, oft mehr als beschämend: Um neue Therapien muss man kämpfen, innovative Diagnostik wird nicht bezahlt und die Budgets der Ärzte sind so gering, dass sich die Betreuung von wirklich Kranken nicht lohnt. Darüber würde sich sicherlich auch ein Bericht lohnen, genauso wie über das Thema „Kostenersparnis zu Lasten und auf dem Rücken der Kranken“. Dieses Thema könnte aber für so manchen, investigativen Journalisten zu komplex sein. Zudem dürfen wir auf eine solche „Story im Ersten“ wohl auch deshalb noch lange warten, weil die Markt- und PR-Macht der Krankenkassen, die auch zu den Werbekunden der Öffentlich-Rechtlichen gehören, einen langen Arm hat und so etwas zu verhindern weiß.

Die zweite Frage, die sich mir beim Zuschauen stellte: Was will uns der Autor mit diesem Bericht eigentlich sagen (die alte Frage bei unseren Deutschaufsätzen)? Dass es gute und böse Selbsthilfegruppen gibt? Dass die guten, wie die Frauenselbsthilfe kein Pharmageld nehmen, während die bösen wie mamazone und andere nur die sechste Kolonne vor dem Karren der Pharmaindustrie sind und Patientinnen tendenziös, weil pharmaorientiert in dunklen engen Kammern beraten und in zweifelhafte Studien treiben?

Hier hätte man sich doch gewünscht, dass in der Reportage zunächst einmal auch die Arbeit der Selbsthilfe vorgestellt worden wäre und man sich nicht nur auf deren Finanzierung fokussiert hätte. Denn entscheidend ist nicht in erster Linie, woher das Geld kommt, sondern was damit geschieht. Dieser Aspekt wurde im Film vollkommen ausgeblendet – leider ist  es auch den interviewten Patientenvertretern nicht gelungen,  sich aus den „richtungsweisenden Fragen“ zu befreien und hier im besten Sinne Eigen-PR zu betreiben. Einzige Ausnahme: Die Ehrenvorsitzende der Frauenselbsthilfe nach Krebs die sich unverständlicherweise nur pharmakritisch äußerte (dabei ist sie selbst eine gern gesehene Vertreterin auf Industriesymposien – auch eine interessante Perspektive). Der mamazone Vorstand blieb sehr blass (eine Vorstandsvorsitzende, die die eigenen Finanzquellen angeblich nicht kennt und sich auf das Interview so wenig vorbereitet, ist wenig überzeugend). Das Argument, im Advisory Boad könnten Patientenvertreter Einfluss auf die Preisgestaltung von Pharmaunternehmen nehmen war m.E. zudem geradezu einfältig. Da hätten sich bessere Argumente finden und anbringen lassen.

Mein persönliches Fazit: Eigentlich hat sich für mich über den Inhalt des Beitrags dessen provokanter Titel nicht wirklich erschlossen – inwieweit Patienten „gekauft“ werden, blieb mit Ausnahme der Studienpatientin nebulös. Es sei denn, man hält es für verwerflich, dass die Pharmaindustrie einer Patienten-Stiftung ermöglicht, Biomaterial zu konservieren, das  die Forschung -  nicht nur für die Entwicklung von Medikamenten – dringend benötigt und das es in dieser Art zumindest für die Tumorentität Brustkrebs nur einmal gibt. 

Na klar, auch die Pharmaindustrie benötigt solche Proben – doch nicht sie allein. Und darf man Industriegeld nur deshalb nicht annehmen, weil man dann zum Interessenvertreter der Industrie wird. Tatsache ist: Es gibt eine Schnittmenge zwischen den Bedürfnissen der Patienten und den Interessen der Industrie – solange hier Transparenz herrscht und die Mittel projektbezogen vergeben  und ausgegeben werden, ist das für mich kein Problem. Gerade Journalisten sollten nicht zu laut nach Unabhängigkeit und Transparenz schreien – sind sie es oft doch selbst, die sich zum Opfer der Industrie-PR anderer Branchen (z.B. IT, Automobil) machen und gern Einladungen zu Produktpräsentationen an der Cote d’Azur oder in Kalifornien folgen und die getesteten Produkte mitunter sogar behalten.  Aber das wissen nur Insider. Insoweit hat die Reportage für mich so keinerlei Newswert gehabt und ich lege sie ab in der Rubrik: Überflüssig, weil Thema verfehlt.

Annette Kruse-Keirath, Vorstand Allianz gegen Brustkrebs e.V.